Erinnerung an einen Prozess

/ Veröffentlichungen

Veröffentlicht in dem Buch „Politische Justiz in unserem Land“, Hrsg. Jörg Lang, Peter Grohmann Verlag, 2013

Anfang der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts waren viele Menschen friedensbewegt. 1979 hatte die Nato beschlossen. ihre in der Bundesrepublik stationierten Atomraketen nachzurüsten. Gegen diesen Beschluss gab es viele Demonstrationen und Blockaden. In Erinnerung geblieben sind vielleicht noch die Demonstrationen der Friedensbewegung in Bonn. Am 10. Oktober 1981 demonstrierten über 300 000 und am 10. Juni 1982 sogar 400 000 Menschen in der Bonner Innenstadt.

Trotz dieser Proteste und trotz Umfragen, die zeigten dass die Mehrzahl der Bevölkerung in Deutschland gegen die Stationierung neuer Atomraketen war, versicherte Bundeskanzler Helmut Kohl am 13.  Oktober 1983 in einer Regierungserklärung:

„Die Bundesregierung steht uneingeschränkt zum Doppelbeschluss der NATO von 1979, zu jenem Beschluss, der Verhandlungen über die Reduzierung und Begrenzung sowjetischer und amerikanischer nuklearer Mittelstreckensysteme bietet. Sie wird die Beschlüsse erfüllen und nach innen vertreten: den Verhandlungsteil und – wenn notwendig – auch den Nachrüstungsteil. Nur wenn die Sowjetunion weiß, dass sie mit einer Stationierung amerikanischer Systeme ab Ende 1983 in Europa fest rechnen muss, kann mit ihrer Bereitschaft gerechnet werden, zu guten Verhandlungsergebnissen beizutragen“[1]

Die Friedensbewegung antwortete auf diese Erklärung mit Blockaden von Kasernen. Neben anderen wurde auch das EUCOM in Stuttgart-Vaihingen blockiert.[2] Zu dieser Aktion am 12.12.1982 bin ich gegangen, um die Blockierer zu unterstützen. Selbst auf die Straße setzen wollte ich mich nicht. Die Aktion war als symbolische Blockade angekündigt. Zu jeder vollen Stunde setzte sich eine Gruppe vor das Eingangstor und sollte 12 Minuten lang blockieren. Danach war geplant, dass die Blockierer aufstehen und wieder zur Seite gehen. So weit kam es aber nicht, denn sobald der Eingang blockiert war, forderte die Polizei die Demonstranten auf die illegale Aktion zu beenden und sich von der Straße zu entfernen. Nach wenigen Minuten fing dann die Polizei mit der Räumung an. Obwohl ich eigentlich selbst nicht blockieren wollte, hat mich das Verhalten der Polizei so geärgert, dass ich mich schließlich mit auf die Straße setzte. Mir erging es wie den anderen: man führte uns ab und nahm unsere Personalien auf.

In verschiedenen Verfahren wurden die Blockierer im Herbst 1984 vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Im April 1989, dann, also fast fünf Jahre später, bekam ich erneut Post wegen der Blockade. Das Landgericht Stuttgart schrieb mir:

„Da die Frage der Rechtswidrigkeit solcher Blockaden lange Zeit in der Rechtssprechung höchst umstritten war, hat die Strafkammer zunächst den Ausgang der entsprechenden Strafverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe abgewartet.

Wie auch Ihnen aus den Medien bekannt geworden sein dürfte haben nun diese höchsten Gerichte zwischenzeitlich die Frage der Nötigung solcher Aktionen bejaht und klargestellt, daß solche Sitzdemonstrationen auch schon in der Vergangenheit grundsätzlich als Nötigung im Sinne §240 StGB strafbar waren und auch künftig bleiben werden.“  

Was in dem Brief mit „umstritten“ bezeichnet wurde, war der Besuch von Franz Josef Strauß am 25. Februar 1984 bei LKW-Fahrern, die über Tage einen Grenzübergang nach Österreich blockiert hatten. Der bayrische Ministerpräsident sicherte den streikenden  seine Unterstützung zu. Ein Rechtsanwalt aus Tübingen, der viele Blockierer der Friedensbewegung verteidigt hat, zeigte Strauß deshalb wegen Nötigung an.

Der Spiegel schrieb im April 1984:

„Den in der Verteidigung von Friedens-Blockierern erfahrenen Anwalt empörte, daß „ersichtlich gleichliegende Fälle von Nötigung ersichtlich ungleich behandelt“ werden. Während die Raketen-Gegner von der Justiz mitunter „wie im Supermarkt abgefertigt“ würden, seien die Brummi-Kapitäne „beinahe gar nicht erst in den Verdacht eines Rechtsbruchs geraten“. Und: „Wer denkt da“, fragt sich der Anwalt, „schon an einen mutmaßlichen Tatgehilfen Strauß?“[3]

Die Gerichte mussten sich nun mit der Frage beschäftigen, wo der Unterschied der Blockade der Fahrer zur Blockade der Friedensbewegung war und wie der bayrische Ministerpräsident aus der Anklage genommen werden konnte. Anfang 1986 wurden die Verfahren niedergeschlagen. In der Erklärung des Münchner Landesgerichts hieß es, dass der bayrische Ministerpräsident „weder durch Rat oder Tat“ die blockierenden Fahrer unterstützt habe und folglich auch nicht wegen Nötigung angeklagt werden könne.

Dem Brief des Landgerichts Stuttgart war die Kopie eines Briefes der Staatsanwaltschaft Stuttgart beigefügt, nach dem diese bereit war, das Verfahren gegen Zahlung von 150.- DM an eine gemeinnützige Organisation einzustellen. Außerdem sollte dann noch eine Erklärung unterschrieben werden:

„Ich habe bei der Blockade ein unrechtes und verwerfliches Verhalten nicht beabsichtigt. Mir ist heute bekannt, daß eine Sitzblockade nach Auffassung auch der obergerichtlichen Rechtsprechung strafbares Handeln ist. Dies werde ich bei meinem künftigen Verhalten berücksichtigen.“

Diese Erklärung wollte ich auch sieben Jahre nach der Blockade nicht unterschreiben. Ich war – und bin noch immer – der Meinung, dass Blockaden eine Form des zivilen Ungehorsams sind und keine Straftaten. Da ich also nicht unterschrieb bekam ich nach einigen Monaten eine Vorladung zu einer Verhandlung. Arglos und unbedacht bin ich allein zu dem Gerichtstermin gegangen. Der Staatsanwalt schlug mir noch einmal vor, die Erklärung zu unterschreiben und die 150.- DM zu zahlen. Ich lehnte es ab und forderte stattdessen, ohne einen Anwalt dabei zu haben die Einstellung des Verfahrens. Meine Argumentation war, dass 12-minütige symbolische Blockaden, die Zufahrt zur Kaserne nicht wirklich behindert hätten. Eine viel effektivere Blockade wären die Fahrzeuge der Polizei, die den ganzen Tag über die andere Seite der zweispurigen Zufahrt zugeparkt hatten. Der Staatsanwalt zeigte sich nicht informiert und musste erst in den Polizeiakten nachschauen. In seinem Plädoyer forderte er eine dreimonatige Haftstrafe und kam zu der Aussage, dass wegen Leuten wie mir Hitler an die Macht gekommen sei. In meinem Schlusswort hielt ich ihm vor, dass er vielleicht ein guter Jurist sei, aber im Fach Geschichte wohl nicht aufgepasst habe. Antifaschisten und Linke haben versucht Hitler zu verhindern. Dies im Gegensatz zu anderen.

Zum Glück folgte das Gericht den Ausführungen des Staatsanwalts nicht. Ich wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, die damals die „Bunte Hilfe“ für mich übernahm.  

Als ich mir jetzt die Unterlagen von damals angeschaut haben kam mir der Name des Staatsanwalts sehr bekannt vor: Häußler.


[1] Zitiert nach Wikipedia „Nato Doppelbeschluss“ abgerufen 3.11.2013

[2] Bilder der Blockade finden sich auf der Internetseite des Fotografen Udo Leuschner       http://www.udo-leuschner.de/nachruestung/text2.htm

[3] Spiegel 15/84 vom 9.4.1984, abgerufen am 3.11.2013

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About Janka Kluge

Seit über vierzig Jahren bin ich in der antifaschistischen Bewegung aktiv. Es ist mittlerweile über dreißig Jahre her, dass ich einen ersten Vortrag über neonazistische Strukturen gehalten habe. Im Laufe der Zeit sind viele Vorträge, Reden auf Kundgebungen und Demonstrationen und Artikel zu dem Thema dazu gekommen. Die meisten davon habe ich in Zeitungen der VVN-BdA veröffentlicht. Im Freien Radio für Stuttgart arbeite ich seit über 25 Jahren mit. in der Folge sind an die 2000 Nachrichten- und Kultursendungen entstanden.