Es war die Imbissbude

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Kaum ein Ereignis hat mein Leben so geprägt und beeinflusst wie die Tage der Pogrome im August 1992 in Rostock. Antifaschistin war ich bereits seit meiner Jugend. Wegweisend waren für mich mein Religionslehrer Hellmut Traub, der als junger Theologe an der Seite von Dietrich Bonhoeffer stand und der Stuttgarter Widerstandskämpfer Alfred Hausser.  In vielen Gesprächen mit Beiden erfuhr ich nicht nur wie wichtig es ist, sich für ein lebenswertes Leben für alle Menschen einzusetzen, sondern auch dass es möglich ist  sich unter der Situation des Faschismus für seine Ideen einzutreten.  Der eine für den Kommunismus, der andere für das Christentum.

Mein Engagement gegen alte und neue Nazis beschränkte sich aber bis zu den Ereignissen darauf auf Demonstrationen zu gehen und bei Diskussionen im eher privaten Bereich meine Überzeugungen zu vertreten.

Bei den Pogromen im September 1991 in Hoyerswerda war ich entsetzt über die offene Gewalt, die fast 500 Neonazis  gegen Wohnheime von Asylbewerbern und Vetragsarbeiter der früheren DDR ausgeübt haben.  Gleichermaßen war ich aber auch von der Reaktion der Politik entsetzt.  Anstatt sich den Angreifern  entgegenzustellen, wurden die Flüchtlinge und Vertragsarbeiter mit Bussen aus Hoyerswerda gebracht. Die Nazis hatten ihr Ziel erreicht und bezeichneten die Stadt von da an als „Ausländerfrei“. Der Begriff ist eine Anlehnung an die Nazi-Bezeichnung  „Judenfrei“. Die Pogrome von Hoyerswerda waren der Auftakt vieler Anschläge, Morde und Pogrome in den folgenden Jahren.

Bei den Pogromen von Rostock kam für mich noch eine neue Dimension dazu. Es waren nicht mehr nur die Stiefelnazis, die die Zentrale Aufnahme Stelle und später das Wohnheim für Vietnamesen angegriffen und in Brand gesteckt haben. Sie bekamen Unterstützung von einer Bevölkerung, die nicht nur Beifall klatschende Kulisse war, sondern  tatkräftig die Ausschreitungen unterstütze. Zeitweise waren mehr als 3000 Menschen vor dem Sonnenblumenhaus in Rostock, die sich in einen gefährlichen Mob verwandelte. Rostock wurde für mich in mehrfacher Hinsicht zu einer Erfahrung, die mein weiteres politisches  Denken beeinflusst hat. Die Regierungskoalition von CDU und FDP, unter Bundeskanzler Helmut Kohl,  plante  schon länger die Asylgesetze zu verschärfen. Sie benötigten aber für eine Änderung des Grundgesetztes die Zustimmung der SPD-regierten Länder im Bundesrat. Der CDU kam es sehr gelegen, dass immer mehr Flüchtlinge  zur Aufnahmestelle nach Rostock gekommen sind. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat nichts unternommen um die neuangekommenen Flüchtlinge unterzubringen.  Die meist aus Rumänien geflüchteten Roma waren gezwungen vor der Aufnahmestelle zu campieren. Der Begriff „campieren“ beschönigt jedoch die Zustände. Die Menschen, oft waren ganze Familien mit kleinen Kindern geflüchtet, bekamen weder Toiletten, noch Zelte zur Verfügung gestellt.  Der Unmut der Bewohner von Lichtenhagen schlug schnell in Hass um. Sowohl die Landesregierung  in Schwerin, als auch die Bundesregierung nahmen diesen Zustand billigend in Kauf.  Diese brodelnde Situation nutzen Neonazis aus der ganzen Bundesrepublik um zuerst die Sammelstelle und dann das Wohnheim für Vietnamesen anzugreifen und dann in Brand zu setzen. Die Polizei war zwar vor Ort zog sich aber immer wieder zurück, so dass der Mob freie Hand hatte.  Die Bewohner von Lichtenhagen solidarisierten sich mit den Nazis.  Ganz anders verhielt sich die Polizei als Antifaschisten aus Rostock, Hamburg und Berlin versuchten sich dem rassistischen Mob entgegenzustellen.  Auf einmal war die Polizei mit Hundertschaften vor Ort und verhinderte durch massives, fast schon militärisches Auftreten antifaschistischen Protest.  Hunderte Antifaschisten wurden verhaftet. Jetzt stimmte das Feindbild des Staates wieder: Es waren die Linken, die Unruhe machten und das Zusammenwirken von Staat und rechtem Mob verhindern wollten.

Erst nach Tagen wurden die Flüchtlinge aus Rostock weggebracht. Wie in Hoyerswerda wurde dem Druck der Nazis nachgegeben. Die vietnamesischen Vertragsarbeiter konnten sich in letzter Minute aus dem brennenden Haus über das Dach  des Nachbarhauses retten. Die Bevölkerung hatte zusammen mit den Nazis über Stunden verhindert, dass die Feuerwehr zu dem brennenden Haus kommen konnte. Alle Beteiligte haben den Tod vieler Menschen in Kauf genommen.

Das Bild, das sich mir aber in mein Gedächtnis eingebrannt hat, war die Imbissbude, die den randalierenden und brandschatzenden Mob mit deutschen Würstchen und deutschem Bier versorgt hat.

Soviel rassistische Normalität und Mordlust hat dazu geführt, dass ich Mitglied der VVN geworden bin und einen großen Teil meiner Freizeit damit verbringe mich gegen Rassismus und Nazis zu engagieren.

Veröffentlicht antifa Nr. 3 2012

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About Janka Kluge

Seit über vierzig Jahren bin ich in der antifaschistischen Bewegung aktiv. Es ist mittlerweile über dreißig Jahre her, dass ich einen ersten Vortrag über neonazistische Strukturen gehalten habe. Im Laufe der Zeit sind viele Vorträge, Reden auf Kundgebungen und Demonstrationen und Artikel zu dem Thema dazu gekommen. Die meisten davon habe ich in Zeitungen der VVN-BdA veröffentlicht. Im Freien Radio für Stuttgart arbeite ich seit über 25 Jahren mit. in der Folge sind an die 2000 Nachrichten- und Kultursendungen entstanden.