„Annette, ein Heldinnenepos“
Seit Wochen steht ein Buch auf den Bestsellerlisten, dass auf den ersten Blick überrascht. Die Autorin Anne Weber nennt ihr Buch einen „Heldinnenepos“. Damit setzt sie das Buch in eine Tradition von Heldenerzählungen, in denen über ein besonderes, herausragendes Leben erzählt wird.
Besonders ist das Leben von Anne Beaumanoir auf jeden Fall. Anne Weber begegnet ihr bei einer Filmvorführung mit anschließender Diskussion. Sie ist fasziniert von ihr und ihrer Geschichte. Am Anfang hört sie nur zu, immer stärker wird der Wunsch ihr ein Denkmal zu setzen. Im Buch nennt sie sie dann Annette.
Da fängt das Problem an, dass ich mit dem Buch habe. Anne Weber hat ein langes Gedicht geschrieben und sich dabei vergaloppiert. Nur ein Beispiel „Annette pflückt Aprikosen. Alls kann gut gehen oder nicht. Tod. Folter. Aprikosen. Dazwischen nichts . Ein Hauch weniger Wachsamkeit und Glück und Anette würde jetzt in Montluc oder woanders gequält werden und sterben.“ (S.67) So geht es seitenlang weiter, mal schwülstig, mal unangemessen kurz.
Jetzt das Positive. Mit ihrem Buch gelingt es Anne Weber ein Leben zu erzählen, dass mehr als beeindruckend ist.
Anna Beaumanoir wurde am 30. Oktober 1923 in Saint-Cast-le-Guildo, einem kleinen Ort in der Bretagne, geboren. Ihre Eltern waren sozialistisch orientiert und in der Jugendherbergsbewegung aktiv. Nach der Niederlage der republikanischen Gruppen im spanischen Bürgerkrieg engagierte sie sich zusammen mit ihrer Mutter in einem Komitee, dass spanische Geflüchtete unterstützt hat. Nach der Schule zieht Annette nach Paris, um dort Medizin zu studieren. 1942 wurde sie Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) und schloss sich dem Widerstand an. Immer wieder wird ihr gesagt, dass sie keine Einzelaktionen machen soll, nichts unternehmen, was die Aktionen des Widerstands gefährden könnten.
Annette hält sich aber nicht daran, immer wieder ist ihr wichtiger was ihr Herz sagt. Nachdem sie von einer bevorstehenden Razzia der Gestapo erfährt, warnt sie auch eine jüdische Familie in ihrem Versteck. Sie wollen der fremden jungen Frau nicht glauben, geben ihr dann aber doch die beiden jüngsten Kinder mit. In den Schilderungen solcher Szenen liegt die Stärke des Buches. „Wer sagte ihr denn, dass diese Nachricht vorhin von der bestehenden Razzia stimmte? Wer, dass die beiden Kinder in dem Versteck nicht sicher waren (…)? Was wenn sie ihrer überstürzten Hilfsbereitschaft wegen festgenommen würden und zu Tode kämen.“ (S. 40) Sie bringt Simone und Daniel zu ihren Eltern in die Bretagne, die sie aufnehmen und verstecken. Für diese Rettung haben Anne Beaumanoir und ihre Eltern die Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern“ der Gedenkstätte Yad Vashem verliehen bekommen.
Im Untergrund lernte sie den Kommunisten Rainer Jurestal kennen, der die große Liebe ihres Lebens wird. Leider finden sich in Deutschland kaum Quellen zu ihm. Nach Angaben der französischen Internetseite von ajpn kam er am 4. April 1921 in Paris zur Welt. Er organisierte für die KPF Wohnungen, die zum Unterschlupf genutzt wurden. Für die Partei sind Liebesbeziehungen zwischen Menschen die in der Illegalität leben und arbeiten gefährlich. Sie schicken die beiden an verschiedene Orte. Im Sommer 1944 wird Rainer Jurestal in einem Versteck, zusammen mit anderen Mitgliedern der Resistance verhaftet. Er kann zwar mit zwei anderen fliehen, sie werden aber von einem Hirten erkannt und von ihm und seinem Sohn zu Tod geprügelt.
Die Befreiung vom deutschen Faschismus erlebt sie in Marseille. Anne Weber betont, dass sie am 28. August noch nicht einmal zwanzig Jahre alt war. Sie wird vom Jugenddachverband der Resistance als Vertreterin in ein Komitee gewählt, dass die Region Bouches-du-Rhone von Nazis und Kollaborateuren säubern soll. Außerdem nimmt sie ihr Studium wieder auf.
Politisch bleibt sie der kommunistischen Partei verbunden, beruflich machte sie als Ärztin Karriere. Sie wurde Neurologin und zur Professorin ernannt. Durch ihre politische Aktivität lernte sie Jo Roger kennen und lieben. Unter dem Namen Annette Roger machte sie sich in Frankreich als Ärztin und Wissenschaftlerin einen Namen.
1955 kam es zum Bruch mit der KPF. Sie und ihr Mann konnten die Position der Partei zum algerischen Befreiungskampf nicht teilen. Sie lernten in Marseille Arbeiterpriester kennen, durch die sie algerische Menschen in Marseille kennenlernte. Sie übernimmt kleinere Aufgaben für Algerier in Frankreich, die den Widerstand in Algerien unterstützen. Weil es ihr mit der Zeit nicht genügt Resolutionen zu unterschreiben, nimmt sie Kontakt zur FLN auf. Sie organisiert für die FLN Unterkünfte. Im November 1959 wird sie verhaftet. Sie kann nach Tunesien fliehen. Mit ihrem Mann macht sie aus, dass er nach einiger Zeit mit den beiden Söhnen nachkommt. Durch die Vermittlung von Frantz Fanon bekommt sie Kontakt zur neuen algerischen Regierung im Exil und übernimmt später im Gesundheitsministerium die Aufgabe ein solidarisches Gesundheitssystem aufzubauen. Nach dem Putsch des Militärs in Algerien muss sie wieder fliehen und ging in die Schweiz. In Genf leitete sie bis zu ihrer Pensionierung die Neurophysiologie einer Klinik.
Trotz aller Kritik an der manchmal zu überschwänglichen Sprache ist das Buch zu empfehlen.
Anne Wolter „Annette, ein Heldinnenepos“ Matthes und Seitz, 2020