Offener Brief an Leni Breymaier

/ Veröffentlichungen

Liebe Leni Breymaier,

wir kennen uns seit vielen Jahren, deswegen erlaube ich mir die vertraute Anrede mit „Du“. Egal ob in den Gewerkschaften, oder in politischen Gruppen ist es üblich sich so anzureden. Du hast vor zwei Tagen in einem Facebook Post erklärt, warum Du gegen das Selbstbestimmungsgesetz gestimmt hast. Es ist Dein gutes Recht für oder gegen ein Gesetz zu sein. Deine Begründungen haben mich aber entsetzt.  Ich habe zwei Tage gebraucht, um mich zu beruhigen. Ich habe Dich eigentlich als reflektierte Frau kennengelernt, die klar analysieren kann.

Um es gleich am Anfang zu schreiben, ich bin bereit mit Dir zu diskutieren, allerdings bin ich mir nicht sicher, ob „es eine gute Diskussion“, so wie Du es Dir wünscht, wird. Ich werde mich bemühen und hoffe Du auch.

Mein Entsetzen ging schon bei den Worten auf Deinem Bild los. Du schreibst „Sexuelle Selbstbestimmung – lass uns darüber reden“. Gut lass uns darüber reden. Beim Selbstbestimmungsgesetz ging es nicht um „Sexuelle Selbstbestimmung“, sondern um die geschlechtliche Selbstbestimmung. Das sind zwei verschiedene Dinge. Du bist eine Frau und kannst verschiedene sexuelle Begehren haben. Du kannst Frauen, oder Männer lieben, oder Du kannst Dich in Menschen jenseits des Geschlechts verlieben und sie begehren. All das wurde und wird mit dem „Selbstbestimmungsgesetz“ nicht in Frage gestellt.

Auch unter trans*Menschen gibt es alle möglichen sexuellen Präferenzen. Darum ging und geht es nicht. Eigentlich könnte ich jetzt schon aufhören, weil ich mit Dir über etwas anderes sprechen will als Du.

Ich mache es uns aber nicht so einfach. Du weißt bestimmt, dass das TSG jetzt 40 Jahre alt ist. Als es verabschiedet wurde und ich gehörte mit zu den ersten, die davon profitiert haben, war es ein sehr fortschrittliches Gesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrmals entschieden, dass das TSG verfassungswidrig ist und die Politik aufgefordert das Gesetz zu reformieren. Die EU hat Deutschland auch aufgefordert endlich ein neues Gesetz einzuführen und damit Menschenrechts Standards zu erfüllen. Andere Länder haben es vorgemacht, wie ein modernes Personenstandgesetz aussehen könnte. In keinem der Länder wurden die negativen Erfahrungen gemacht von denen Du in Deinem Beitrag schreibst.

In dem Beitrag sprichst Du Dich auch gegen die Hormonbehandlung von Jugendlichen aus und nimmst eine Hormonbehandlung, die Du mal machen musstest als Beispiel dafür wie schlimm so eine Behandlung ist. Ich nehme jetzt seit über 35 Jahren Hormone und kann Deine Erfahrung nicht bestätigen. Aber das ist auch nicht verwunderlich, weil es sich um unterschiedliche Dinge handelt, die Du in einem Topf geworfen hast. Ich nehme die Hormone, weil mein Körper leider nicht in der Lage ist die für mich richtigen Hormone zu produzieren.

Ein Teil meiner Geschichte kennst Du wahrscheinlich nicht. Ich habe Mitte der achtziger Jahre eine der ersten Selbsthilfegruppen für trans* Menschen mit aufgebaut. Vor drei Jahren war ich noch maßgeblich an der Gründung einer Selbsthilfegruppe für Eltern und Angehörige von trans* Kinder und Jugendlichen beteiligt. Eltern von Kindern, denen Du das Recht absprichst von sich zu sagen, was sie empfinden. Im Laufe der Jahre habe ich mehrere hundert trans* Menschen auf ihrem Weg begleitet. Fast alle sagen, dass sie spätestens mit Beginn der Pubertät gewusst haben, dass das von außen zugeschriebene Geschlecht falsch ist. Das sagen die Menschen, die auf Grund von Unverständnis und Angst vor der Ablehnung ihrer Familie den Weg nicht gehen und erst in die Selbsthilfegruppe kommen, wenn der Druck so hoch ist, dass sie nicht mehr anders können. Das gleiche sagen aber auch die heutigen trans* Kinder und Jugendliche.

Ich merke, wie mich der Brief an Dich aufwühlt, weil ich auch schon vor der Pubertät gewusst habe, dass ich kein Junge, sondern ein Mädchen bin. Mir wäre einiges an Leid erspart geblieben, wenn ich damals Eltern gehabt hätte, die mich ernst genommen hätten.

Du schreibst, dass viele Deiner lesbischen Freundinnen über die Entwürfe der Grünen und der FDP zu einem Selbstbestimmungsgesetz entsetzt waren. Ich kann Dir versichern, dass es einige trans* Menschen in den Gewerkschaften und der SPD gibt, die über Deine Argumentation entsetzt sind.

Ich bin bereit mit Dir in die Diskussion zu gehen. Zu der von Dir gewünschten Augenhöhe gehört aber auch, dass Du meine „Augenhöhe“ akzeptierst.

Liebe Grüße

Janka Kluge

(Vorstand der dgti)

P.S. Ich werde den Brief auf den Seiten der dgti veröffentlichen, damit er nicht aus Versehen untergeht.

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About Janka Kluge

Seit über vierzig Jahren bin ich in der antifaschistischen Bewegung aktiv. Es ist mittlerweile über dreißig Jahre her, dass ich einen ersten Vortrag über neonazistische Strukturen gehalten habe. Im Laufe der Zeit sind viele Vorträge, Reden auf Kundgebungen und Demonstrationen und Artikel zu dem Thema dazu gekommen. Die meisten davon habe ich in Zeitungen der VVN-BdA veröffentlicht. Im Freien Radio für Stuttgart arbeite ich seit über 25 Jahren mit. in der Folge sind an die 2000 Nachrichten- und Kultursendungen entstanden.